Der lila Hut
von Beate Hofmann

Es gibt Tage, da scheint die scheint die Leichtigkeit abhanden zu kommen. Von Lebensfreude keine Spur. Dabei brauchen wir Freude so essenziell wie ein nahrhaftes Essen, wie Licht und Liebe. Sie macht nicht nur glücklicher, sondern vor allem lebensfähig. Es lohnt sich, der Freude mehr Raum zu geben, sie wie eine gute Freundin einzuladen und willkommen zu heißen, wenn sie am Wegrand auftaucht.

Zum Glück ist Lebensfreude nicht von einem sorgen- oder schmerzfreien Leben abhängig. Gerade in der Klinik von und mit Menschen in großen Krisen lernen wir, wie wesentlich Freude ist und wie man sie nähren kann.
Wie kürzlich auf der Intensivstation für Knochenmarkstransplantation.

Geschwächt, mit vielen Infusionen versehen liegt die Frau in ihrem Bett, als ich das Zimmer betrete. Wir kommen ins Gespräch und auf meine Frage hin, was ihr die Kraft gibt, durch diese schwere Zeit zu kommen, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. "Der lila Hut", antwortet sie. Ich verstehe nicht, was sie meint. Sie staunt: "Was, Sie kennen nicht die Geschichte vom lila Hut?"

Kurzfassung: Eine Frau schaut in den Spiegel. Als Kind sieht sie die Prinzessin darin, mit 40 sieht sie die Mängel: zu dick, zu dünn, die Falten, das Alter. Mit 60 geht sie barmherziger mit sich um. Mit 80 schaut sie nicht mehr in den Spiegel, sondern setzt den lila Hut auf und lebt ihr Leben.
"Ich habe den Hut tatsächlich aufgesetzt, ein riesiges Wagenrad von lila Tüll", sagt die Patientin und erzählt, was das für einen Mut gekostet hat, sich mit einer Freundin gleichermaßen "behütet" auf den Weg in die Stadt zu machen. Wie sie bummeln gegangen sind, einen schönen Kaffee tranken, wie die Leute sie angestaunt und sogar fotografiert haben und wie sie vor Lebensfreude und Leichtigkeit nur so gefunkelt haben, trotz Krebs und Krankheit.

"Das Beste war, dass uns niemand, nicht eine Person an diesem Nachmittag ausgelacht hat. Sie haben mit uns gelacht, die Freude geteilt, vielleicht gestaunt und sich gefragt, was wir da treiben. Aber immer waren großer Respekt und Anerkennung spürbar. Und wir haben uns gefühlt, als könnten wir Freude multiplizieren."
Als ich weitergehe, fühle ich mich beschenkt - mit geteilter Lebensfreude und dem Auftrag, den Hut aufzusetzen im eigenen Leben. Heute, nicht erst irgendwann.

Darüber hinaus traue ich darauf, behütet zu sein egal ob mit oder ohne Hut.

 

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