Foto: istock, joel carillet

Mit Ritualen leben
von Friederike Bräuchle

Das Bild von brennenden Honigkerzen berührt mich wohltuend. Sie verströmen ein warmes Licht in einem dunklen Raum. Der Monat November wird von vielen als dunkler Monat erlebt, auch als trauriger, in dem man besonders der dahingegangenen Angehörigen gedenkt. Wie gut, dass mit ihm auch wieder die Zeit kommt, in der man Kerzen anzündet. Ihre kleine Flamme kann einen dunklen Raum erhellen. Ihr Licht kann tröstlich wirken, zeigt an, wie Trost geht: freundlich, still da sein.

Die Kerzen auf dem Bild brennen in einem Kirchenraum. Menschen haben sie dort angesteckt. Ihren Dank für eine erfolgreiche Prüfung oder Suche nach einem Arbeitsplatz mögen sie so ausdrücken, auch für eine gelungene Operation oder einen spürbaren Fortschritt der Heilung bei einem Familienmitglied. Oder sie machen sich um einen ihnen nahen Angehörigen oder einen Freund, eine Freundin Sorgen und haben für ihn oder sie ein Gebet zu Gott geschickt, ein Licht angezündet.

Sie könnten das auch zu Hause machen und tun das auch. Aber die Kirche ist ein Raum des Gebets, ein Raum, in dem Gott, der Angesprochene als gegenwärtig erfahren wird, ein Raum, der die Gewissheit nährt, dass das Gebet gehört wird. Dort zünden auch andere Gläubige eine Kerze an für Menschen, die ihnen am Herzen liegen. Man sieht, man ist mit seinem Gebetsanliegen nicht allein, sondern mit anderen verbunden. Wenn man die Kirche verlässt, brennt die Kerze noch weiter. Mein Anliegen an Gott bleibt und wird, so mag man hoffen, vom Gebet anderer aufgenommen.

Wo in den Andachtsräumen der Kliniken die Möglichkeit besteht und die Brandschutzordnungen es zulassen, werden Kerzen entzündet, häufig und sicher auch von Menschen, die verschiedenen Konfessionen,  vielleicht auch gar keiner Kirche angehören. Sie vollziehen dieses Ritual und verbinden sich so mit einer Gemeinschaft, vielleicht auch mit dem, der über unser Diesseits hinausreicht. Wer mit Ritualen lebt, stellt sich mit seinen Erfahrungen in einen weiteren Deutehorizont und vergewissert sich so der Verbindung zu einer Gemeinschaft mit anderen, vielleicht auch zu Gott.

 

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Pfarrerin
Friederike Bräuchle (evang.)