Foto: pixabay Antranias

(Ohne) Ansehen der Person
von Beate Schröder

Wer schon einmal im Krankenhaus gelegen hat, kennt das tägliche Ritual der Visite, zu deutsch: 'Besuch'. Bruno Pockrandt beschreibt eine Szene, in der dieser »Besuch« auch am leeren Krankenbett möglich ist: »Als es an die Tür des Dreibettzimmers klopfte, war dieses bereits ein Zweibettzimmer geworden. Patientin C. hatte sich zur Toilette begeben. Chefarzt, Oberärztin, Stationsarzt, Krankenschwester und Studenten füllen den Raum (...) Das Ritual kann beginnen: Name, Befund, laufende Therapie, Medikation (...) Frau C. in der Toilette hört ihren Namen, begreift, dass von ihr die Rede sein muss, und sucht eilig den Weg zurück ins Bett. Als sie staunend in der Tür steht, ist die Karawane schon weiter gezogen (...)« (in: Bruno Pockrandt, Zwischen Befunden und Befinden, Frankfurt/M. 2008, S. 45)

Eine bizarre Geschichte, die wahr sein könnte. Auch manche Patient*innen, die während der Visite in ihrem Bett liegen, fühlen sich manchmal als Person nicht wahrgenommen.

Ärzte stehen unter permanentem Zeitdruck. Es kostet sie viel, sich auf längere Gespräche mit Patient*innen einzulassen. Zeit ist Geld in unserem ökonomisierten Gesundheitswesen. Darunter leiden auch Ärzte. Der ständige Zeitmangel widerspricht ihrem Berufsethos.

In einem Appell »Rettet die Medizin!« wenden sich über 1.500 Ärzt*innen gegen die Ökonomisierung unserer Krankenhäuser. Sie wollen Zeit haben für die Patienten, für ihre Fragen, ihre »Angst vor Schmerzen, Siechtum und den Tod«. So heißt es in dem Appell.

Im Markus-Evangelium wird erzählt, wie Jesus einem Blinden Gehör schenkt: Der blinde Bartimäus sitzt am Straßenrand. Als er hört, dass Jesus in der Nähe ist, fängt er an zu schreien: »Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!« Einige fahren ihn an, er solle schweigen. Jesus aber bleibt stehen und sagt: »Ruft ihn her!« Bartimäus kommt zu Jesus. Und Jesus antwortet ihm und fragt: »Was willst du, dass ich für dich tun soll?« (Mk 10, 46-51) Jesus handelt nicht ungefragt. Erst nach einer Antwort heilt er den Mann.  

Eine Szene, die nicht nur Ärzte ermutigen kann. Gespräche können heilsam sein. Und sie tun gut - Kranken und Gesunden!

 

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Pfarrerin
Beate Schröder (evang.)