Die Kraft und bleibende Aktualität des Segens
von Dieter Eckmann

Was sie sich wünsche für das neue Jahr, frage ich eine Patientin, die vor einem halben Jahr einen Schlaganfall erlitten hat und nun, halbseitig gelähmt, dem Jahreswechsel im Pflegeheim entgegenschaut. „Einmal in der Woche einen Apfel - und dass Sie mich für das Kommende segnen!“, das sind ihre Wünsche.

Es gibt im Laufe eines Jahres nur wenige Augenblicke im manchmal atemberaubend schnellen Zeitlauf, wo fast alle einen Moment innehalten, der Vergangenheit betrachtend gedenken und erwartungsvoll ihn die Zukunft schauen. Der Jahreswechsel ist so ein Zeitpunkt. Und nicht von ungefähr heißt der erste Monat eines neuen Jahres Januar. Die alten Römer hatten ihn dem Gott Janus geweiht, dem Gott mit dem doppelten Gesicht – weswegen wir heute noch fragen: „Welches Gesicht wird uns das neue Jahr zeigen, das freundliche oder das düstere? Bleibe ich gesund oder werde ich krank? Bleibt das Familienleben harmonisch oder gerät es in eine Krise? Und sicher klebt unser Blick nicht nur am Privaten, sondern wir richten unsere Fragen auch an das Weltgeschehen…

Die Patientin vertraut bei aller Ambivalenz dem Segen Gottes. Benedicere, das lateinische Wort für Segnen, bedeutet: einander gutheißen. Wer möchte das nicht spüren in einem möglichst umfassenden Sinn, körperlich, geistig, endgültig und in allen Lebenslagen? Unser Alltag lebt ja vom Bejahen, vom Gutheißen, lebt von Zusagen. Die biblische Theologie des Segens richtet den Fokus besonders darauf, dass es nicht um passives Verharren geht oder magisches Manipulieren. Segnen ist zuweilen ein widerständiges Tun, ein Ringen mit Gott und den Menschen, auch mit Gottes Abwesenheit. „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest“, sagt Jakob in seinem Kampf mit Gott am Jabbok (Gen 32,23-32). Und im Lukasevangelium fordert Jesus uns auf, die Verfolger, Konkurrenten, Neider zu segnen (Lk 6,28) – aus der Gewissheit heraus, dass man selber von Gott zutiefst angenommen und erwünscht ist.

Den Blick dafür zu schärfen kann ein Vorsatz sein zum neuen Jahr: Ich will den Segen Gottes in meinem Leben entdecken lernen und damit rechnen. Ich will im Segnen Verantwortung für die Welt übernehmen, getragen von einer Haltung des Bejahens und Vertrauens.

Schön bringt es ein Gebet zum Ausdruck:

Mein Gott, wach und achtsam möchte ich sein.
Lehre mich, die Dinge zu durchbrechen
und dich, meinen Gott darin zu ergreifen.
Denn du leuchtest aus allen Dingen
und sie schmecken mir nach dir.
Dein Bild wird mir in allem sichtbar –
auch im Apfel, der von deiner Liebe kündet…

 

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Pfarrer
Dieter Eckmann (kath.)