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Sommerwind
von Kerstin Steegers 

Oft saß ich in den vergangenen Wochen in der Mittagspause an einem ruhigen Platz zwischen „meinen“ Kliniken in der Sonne, und der stete, leise Sommerwind, eher ungewöhnlich für unsere Gegend, versetzte mich an meinen Sommer-Sehnsuchtsort und ließ mich tagträumen vom Mittelmeer, von Licht und Wärme:
Ich liege, annähernd so, wie Gott mich schuf, auf einem Handtuch am Strand. Der warme Sommerwind zerzaust meine Haare und streichelt, fast zärtlich, meine Haut. Ich höre sein Wehen und das Rauschen der Wellen und lasse den feinen Sand durch meine Finger rinnen. Das Lachen der spielenden Kinder um mich herum klingt in meinen Ohren, ich atme die salzige Luft ein und nehme die Farben und Düfte des Hochsommers wahr. Mit allen Sinnen bin ich ganz da und werde doch immer leichter und auf eine angenehme Art kleiner, unbedeutender, irgendwie zu einem Teil der wunderbaren Schöpfung, die mich umgibt, mich freundlich aufnimmt. Je länger ich so daliege, absichtslos, mit ganz viel Zeit und Ruhe, desto mehr tritt alles Schwere, mitunter Belastende des ganz normalen Alltags in den Hintergrund und verliert an Gewicht. Mir fällt das schönste Sommergedicht ein, das ich kenne, von Erich Fried:

Meer

Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren 

und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes
einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen 

Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen

nur Meer

 Nur Meer

 Und vielleicht noch MEHR…

(Erich Fried, Gesammelte Werke, Gedichte I, S. 329, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998)

 

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Pastoralreferentin
Kerstin Steegers (kath.)