„Wie geht es Ihnen?“
von Joachim Schmid

Gott, du erforschest mich und kennest mich.

Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.

Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.

Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht schon wüsstest.

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. (Psalm 139, 1-5)

  

„Wie geht es Ihnen?“ ist eine Frage, die im Krankenhaus immer wieder gestellt wird. Von Ärzten bei der Visite, von Pflegenden bei der Versorgung und auch von mir als Klinikseelsorger wenn ich ins Zimmer eintrete. Eine Patientin sagte mir, dass sie diese Frage nicht mag. Denn wie es ihr gehe, sei sehr schwierig zu sagen. Da sind zum einen die Blutwerte, die über das Ergehen etwas aussagen, da war die Nacht mit Unruhe und Ängsten. Und dann gibt es auch wieder etwas Hoffnung auf positive Untersuchungsergebnisse. „Es ist einfach zu viel, um kurz sagen zu können, wie es mir geht.“ Wir sprachen länger über das ein und das andere. Als Seelsorger erwarte ich keine rasche Antwort und auch keine eindeutige. In Ruhe und mit Zeit für das Hin- und Hergerissen sein kamen wir ins Gespräch. Alles hat seine Berechtigung, alles darf sein. Als ich mich verabschiedete, habe ich der Patientin gesagt, dass ich gelernt habe, nicht mehr so unbedarft zu fragen, wie es denn gehe. Patientinnen und Patienten wahrzunehmen und ihnen anzubieten, mit mir zu teilen, wie es gerade geht, das möchte ich weiterhin. So kamen wir auch darauf, dass es manchmal leichter ist, sich in fremde Worte fallen zu lassen. Das können Psalmen der Bibel sein oder Gedichte unserer Zeit wie jenes von Dorothea Grünzweig.

 

mein gestern nacht 

der erste schnee kam     er kommt oft bei nacht und

wird zur morgengabe für die schon nahe hohe winterzeit

 

doch konnte ich ihn nur als ausschnitt sehen       

trug um den hals wieder den angstkragen      

ein abschirmtrichter

blickzerstückler mit dem ich anecke oft mich verheddere

 

erst als der kragen von mir abfiel sah ich den schnee

in seinem reichtum seiner herben herrlichkeit

die flocken die im fallen fordern

fürchtet euch nicht

und sah die lichtverzückte landschaft mich inmitten

 

das helle feldzerschmelzende      sich über alle

grenzen werfende genesungsweiß        (Dorothea Grünzweig)

 

 

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Pfarrer
Joachim Schmid (evang.)