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To be present
von Georg Gebhard

Eine der wichtigsten Fähigkeiten in der Seelsorge wie in wahrscheinlich den meisten Formen zwischenmenschlicher Unterstützung ist die Fähigkeit, präsent zu sein. Erst wenn ich wirklich präsent bin, kann ich für andere hilfreich sein.

Wenn diese Fähigkeit fehlt, wird es schwierig. Ich erinnere mich an eine besondere Situation in einer bayrischen Klinik, in der ich vor Jahren eine Seelsorge - Weiterbildung hatte: Zur Unterstützung einer schwer kranken Patientin war deren Neffe gekommen. Er hatte sich, wie er mir sagte, extra ein paar Tage Urlaub genommen, um ihr beizustehen. Er erzählte mir, dass für ihn sein christlicher Glaube das allerwichtigste sei, vor allem der Glaube an die Auferstehung. Ohne diese wäre alles Leben sinnlos. Es zeigte sich dann aber, dass er seiner Tante gar nicht hilfreich zur Seite stehen konnte: Er konnte einfach nicht ruhig sein. Ständig erkundigte er sich beim zuständigen Krankenpfleger über Details der medikamentösen Behandlung, hatte immer wieder von seinem Handy aus wichtige Anrufe zu tätigen und wenn ich als Seelsorger da war, um seine Tante zu besuchen, versuchte er mich in Diskussionen über die Bedeutung des Glaubens an die Auferstehung zu verwickeln. „Er redt halt wieder“, sagte mir seine Tante mit einem Stirnrunzeln. Schließlich gelang es, ihn für eher praktische Dinge wie kleine Besorgungen zu gewinnen und ihn dadurch auf Abstand zu halten.

Wie kann das sein, dass jemand sich so schwer tut, präsent zu sein, noch dazu mit einer so starken Glaubensüberzeugung? Sicherlich ist es für einige Menschen einfach schwierig, belastende Situationen im Krankenhaus auszuhalten. Manche Angehörige sagen das ganz offen. Und sicherlich hat die Schwierigkeit, wirklich „da“ zu sein, sich auf die konkrete Situation einzulassen, etwas mit Angst zu tun. Es liegt mir fern, diesen Menschen, dessen Lebensgeschichte ich nicht kenne und der es gut meinte, zu verurteilen. Ich denke wohl deshalb noch so oft daran, weil er für mich für etwas steht, das vermutlich alle Menschen in ihrem Leben selbst kennen und das auch in unserer Welt im Großen, in unseren Institutionen, eine Rolle spielt: Das irgendwie Erstarrte, nicht fließend Lebendige. Der Wunsch, vor der Unberechenbarkeit des Lebens in feste Überzeugungen und Regeln zu fliehen und sich eben nicht wirklich auf die Gegenwart einzulassen. Ich sehe diese Gefahr momentan gerade auch in der katholischen Kirche, der ich angehöre: Längst überfällige Reformen scheinen mir trotz größter Herausforderungen nur schwer in Gang zu kommen.

Am 9. Juni feiern wir dieses Jahr Pfingsten, und Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. In der Pfingssequenz, einem alten, an den Heiligen Geist gerichteten Gebet, heißt es:

Ohne Dein lebendig Wehn
kann im Menschen nichts bestehn,
kann nichts heil sein noch gesund.
 
Wärme du, was kalt und hart,
löse, was in sich erstarrt,
lenke, was den Weg verfehlt.

Ich mache in der Klinik immer wieder die Erfahrung, dass selbst in schweren Situationen manchmal eine besondere Atmosphäre spürbar wird, die ich mit der Gegenwart des Heiligen Geistes in Verbindung bringe. Und sich selbst immer wieder um Präsenz zu bemühen, sei es in Gebet und Meditation oder in der Begegnung mit anderen Menschen, ist eine zutiefst spirituelle Haltung. Und so erstaunt es nicht, dass der Ausdruck im Titel „to be present“ auf doppelte Weise übersetzt werden kann: „Präsent sein“ und „Geschenk sein“.  

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Pastoralreferent Georg Gebhard (kath.)