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März 2025

Krise als Chance oder als Existenzerhellung 
von Joachim Schmid

Der Ratschlag, eine Krise als Chance zu begreifen, ist oft gut gemeint und eine inzwischen gängige Weisheit. Auf Kalendersprüchen und Teebeuteln, in Pop-up-Nachrichten und social-media-Foren wird mir die Lebensklugheit eingeflößt: „Wie glücklich Sie sind, hängt mehr von Ihren Gedanken als von den äußeren Umständen ab.“ Positiv denken ist in! Und tatsächlich finde ich es immer wieder hilfreich, auf das Stärkende und auf die Ressourcen zu blicken – auch in der Seelsorge. Jeder kann sich zu persönlichen Schicksalsschlägen verhalten. Und angesichts enormer ökologischer und gesellschaftlicher Probleme gilt es tatsächlich, Zukunftsperspektiven und Lösungsstrategien zu suchen.

In der Seelsorge im Krankenhaus begegne ich Menschen, die sich schmerzhaft ausgeliefert fühlen. Sie wünschen sich nichts sehnlichster, als in ihren gewohnten Alltag zurückkehren zu können. „Ich wünsche mir nichts mehr als mein altes Leben“ sagte mir neulich eine Patientin. Mir wurde deutlich, dass es bei gesundheitlichen Einschränkungen und psychischen Grenzerfahrung, überfordernd sein kann oder gar zynisch ist, die Krise nun als besondere Chance der Veränderung zu deuten. Statt vorschneller Lösungsansätze gilt es, da zu sein und mit auszuhalten, vielleicht auch den Verlust an Möglichkeiten zu betrauern. 

Ein etwas anderer Blick begegnet mir, wenn die Krise als Existenzerhellung wahrgenommen wird. Was sich zunächst abstrakt anhört, konfrontiert eben gerade nicht mit einer neuen Herausforderung. Eine Existenzerhellung wirft mich nicht auf mich selbst zurück, sondern stellt mich als Person in eine andere Perspektive. In der unliebsamen Erfahrung begegnet mir Selbsterkenntnis. Damit ist jedoch nichts gelöst oder aufgehoben - leider nicht! Doch ich kann hoffentlich wahrnehmen, was mir jetzt wichtig und wertvoll wird. Und dies kann meine Sicht auf mich selbst und auf andere Menschen erhellen. 

Als Klinikseelsorger möchte dazu ermutigen, das eigene Leben in einem Licht wahrzunehmen, das sich in der Krisenerfahrung finden lässt. Aber nicht nur dort - dies möchte ich auch betonen. Im Krankenhaus werden allerdings oft Glaubenserfahrung gemacht, die nahe am Kreuz stehen. Von dort wird die menschliche Existenz erhellt – darin steckt sowohl Leid als auch Trost. Der Psalmbeter wendet sich an ein größeres Ganzes, wenn er formuliert: „Gott, du hast mich erforscht und kennst mich. Ob ich sitze oder stehe: Du weißt es. Meine Gedanken erkennst du von ferne. Gott, du kennst mich und siehst mich.“ (Psalm 139) 

Pfarrer

Joachim Schmid (Evang.)

Klinik für Psychiatrie
Klinik für Neurologie und Neurochirurgie
Mitglied im Klinischen Ethikkomitee


Tel. 07071 29-80936
joachim.schmid@elkw.de