Von der Macht freundlicher Zuwendung
von Elisabeth Zeile

In seinem Buch 'Sprache ohne Worte' legt Peter A. Levine, Biologe, Physiker und Psychologe, Ergebnisse seiner Traumaforschung vor. Er zeigt beeindruckend darin auf, „wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt“. Auf den ersten Seiten schildert er differenziert eine eigene Erfahrung. Beim Überqueren der Straße ist er von einem Auto angefahren worden. Schwer verletzt, umringt von Menschen, die ihn erschreckt von oben anstarren, findet er sich auf dem Boden liegend wieder. Angst überflutet ihn, er fühlt sich so hilflos.

Da setzt sich eine Frau ruhig neben ihm nieder und fragt: „Kann ich Ihnen helfen?“ „Bleiben Sie einfach bei mir“, bittet er. Sie nimmt seine Hand. Sein Blick sucht ihre Augen. Er hält sich an diesem freundlich zugewandten Blick fest. „Ich bin nicht allein“ - ihn durchläuft eine Welle der Erleichterung. Tränen lösen sich. Bis der Rettungswagen kommt, erlebt er Wellen von Entsetzen, Angst und Besorgnis. Und immer wieder suchen seine Augen den freundlichen Blick der Frau wie einen Rettungsring, der durch alle Wogen hindurch Halt gibt und trägt. Ihre ermutigende Gegenwart tröstet ihn.

Was Peter A.Levine als einen wesentlichen Aspekt in der Bewältigung traumatischer Situationen in dieser Szene beschreibt, kennen wir als eine Grundaussage und Zusage unseres christlichen Glaubens. Gott erfahren und bezeugen wir als „den Anderen“, der uns freundlich ansieht, uns „gnädig“, d.h. zugewandt ist und Beachtung schenkt. Sein freundlich zugewandtes Angesicht, sein tröstliches „Ich bin bei dir“ gibt Menschen in Erschütterungen des Lebens Halt und Ausrichtung. Der aaronitische Segen fasst unübertroffen die ermutigende Gegenwart Gottes in Worte:

Gott segne und behüte dich!
Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig!
Gott erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden!

In der freundlich zugewandten Gegenwart eines anderen suchen und finden Menschen Trost und Ermutigung. Dankbar nehmen Erwachsene wie Kinder es auf, wenn sie angeschaut und freundlich beachtet werden. Dies gilt für Patienten in den Kliniken wie auch für ankommende Flüchtlinge.

Was in existentiellen Notlagen offensichtlich notwendig wird, brauchen wir alle zum Leben: beachtet und freundlich wahrgenommen zu werden; immer wieder einem Gegenüber zu begegnen, das uns sieht in dem, was mit uns gerade ist, und uns in unserem Menschsein stärkt.

 

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Pfarrerin
Elisabeth Zeile (evang.)