Foto: Ruth Rudolph / pixelio.de

Stolperstein
von Friederike Bräuchle

Zum November gehören für mich Stolpersteine. Christen nehmen solche wahr und lassen sich in ihren alltäglichen Geschäften unterbrechen. Etwa indem sie mit anderen darüber nachdenken und diskutieren, was den Frieden fördert und gefährdet, und für ihn beten. Oder indem sie sich am Bußtag zur Umkehr rufen zu lassen hin zu dem, der uns in wahres und bleibendes Leben weist. Oder auch indem sie an einer Gedenkfeier teilnehmen, in der des Pogroms gegen die jüdische Bevölkerung vom 9. November 1938 gedacht wird.

Stolpersteine brauchen wir, damit Unrecht, an das wir uns gewöhnt haben, aufgedeckt wird, etwa wo Minderheiten und Einzelnen ihre Menschenwürde genommen wird. Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig werden in vielen Städten Deutschlands in die Gehwege verlegt vor Häusern, deren frühere meist jüdische Bewohner während des Dritten Reiches deportiert und ermordet worden sind. Zu ihnen gehörten auch psychisch Kranke. So wurde in der Stuttgarter Gemeinde, in der ich bis vor wenigen Jahren Pfarrerin war, für Lilly Röck ein Stolperstein verlegt.

Machen wir uns bewusst: Ein Mensch verhält sich in den Augen anderer ungewöhnlich. Man fühlt sich ihm gegenüber unsicher, geht ihm aus dem Weg und ist froh, wenn er hinter den Mauern einer Anstalt verschwindet. Faschistisches Gedankengut befindet schließlich, dass solches Leben, das Kosten verursacht und fürs Gemeinwohl „keinen Nutzen“ erbringt, nicht erhaltens-„wert“ sei. Geboren 1895, wird die „nervenkranke“ Lilly Röck am 24.06.1940 im Rahmen des sog. „Euthanasieprogramms“ in Grafeneck ermordet.

„Können wir die brauchen?“ Solche Überlegungen werden in einer Zeit, in der das Florieren der Wirtschaft oberste Priorität hat, nicht nur im Abseits angestellt. Ein Stolperstein sei uns die Zusage Gottes an sein immer wieder von Auslöschung bedrohtes kleines Volk in der Zeit des Propheten Jesaja: „Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet.“ (Jesaja 49,16).

 

 

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Pfarrerin
Friederike Bräuchle (evang.)