Bild: Dorothee Krämer, www.kraemerteam.de

Jahreslosung - ganz praktisch
von Beate Schröder

Auf den ersten Blick klingt die Jahreslosung für 2015 wie einer von vielen guten Vorsätze, mit denen wir oft ins neue Jahr starten: so vernünftig, so klug, so weise. »Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.« (Röm 15, 7)

Ja, ich möchte meinen Partner, meine Tochter, meine Freundinnen und Freunde so annehmen, wie sie sind. Ich weiß, ändern kann ich sie sowieso nicht. Aber wahrscheinlich wird es mir damit gehen, wie mit vielen anderen Vorsätzen zu Jahresbeginn: Ich werde mich doch wieder ärgern am Anderssein des Anderen. Ich werde wieder wütend sein und bestimmte Dinge innerlich nicht akzeptieren können.

Doch Gott sei Dank ist die Jahreslosung mehr als ein x-beliebiger Vorsatz zu Jahresbeginn. Es ist ein Wort des Paulus aus seinem Brief an die Gemeinde in Rom, und es steht in einem bestimmten Zusammenhang. Paulus spricht die »Starken« der Gemeinde an. Stark ist, wer absehen kann von der eigenen Befindlichkeit und dem eigenen privatem Raum. Stark ist, wer in Christus gegründet ist und deshalb nicht mehr ängstlich fragen muss, ob er gefällt. 

»Wir aber, die wir stark sind«, sagt Paulus, »sollen das Unvermögen der Schwachen tragen und nicht Gefallen an uns selber haben« (Röm 15,1). Einander annehmen bedeutet also mehr, als mit Zähneknirschen hinnehmen, was ich nicht ändern kann. Einander annehmen ist ein aktives, gestaltendes Geschehen, das Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg geht.

In der Klinikseelsorge haben wir solche starken Menschen, die andere annehmen so, wie sie sind, in ihrer Schwachheit und in ihrer Krankheit. Einmal in der Woche kommen sie hier in der Klinik auf die Stationen und besuchen Kranke. Ich spreche von unseren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Sie stellen ihre eigene Befindlichkeit zurück und schenken anderen ihre Zeit. Unbezahlt und womöglich gerade darum unbezahlbar. Sie tun das, wozu die Jahreslosung für das neue Jahr uns auffordert: »Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.«

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Pfarrerin
Beate Schröder (evang.)