Foto: privat

Kleine Wetterbetrachtung 
von Georg Gebhard 

„Wie warm ist es draußen?“ – das war das Erste, was eine Patientin neulich von mir wissen wollte. Gespräche über das Wetter zu führen, das gilt ja manchmal als banal. Gibt es nicht wichtigere Themen, so kann man fragen.  Aber für die Patientin war das durchaus von Bedeutung, hatte sie doch über lange Wochen hinweg das Wetter nur von ihrem Krankenzimmer aus erlebt, immer mit einer Fensterscheibe dazwischen. Während unseres Gespräches richtete sich unser Blick immer wieder durch das Fenster des Krankenzimmers hindurch auf die schönen weißen Wolken, die über den blauen Himmel zogen. „Wie große weiße Federbetten“, meinte die Patientin, und schmunzelte. „So haben wir das doch als Kinder gemacht und in den Wolken allerlei Gestalten gesehen – und hier: Das ist doch ein Lockenkopf, vielleicht der von Frau Holle.“

Selbst in der Bibel wird gelegentlich vom Wetter geredet. Jesus kommt auf das Wetter zu sprechen ausgerechnet im Zusammenhang mit dem wahrscheinlich anspruchsvollsten christlichen Gebot überhaupt, nämlich dem der Feindesliebe. „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“, so sagt er in der berühmten Bergpredigt. Kann uns ein Blick in den Himmel, ein Blick auf´s Wetter, zu friedfertigeren Menschen machen, wohlwollender sich selbst und anderen gegenüber? 

Mir gefällt das Bild, das Jesus verwendet. Gott lässt seine Sonne aufgehen und er lässt es regnen – und er macht keine Unterschiede (unterscheiden heißt übrigens auf lateinisch discriminare). Ich sehe darin weniger eine Gleichgültigkeit Gottes als vielmehr ein „Gelten lassen“, ein „Sein lassen“. Mich erinnert das an das nicht bewertende, nicht urteilende Denken, das in vielen spirituellen Schulungswegen eine große Rolle spielt.

Sicherlich: Man muss den Blick auch gut  auf die Erde gerichtet halten. Oft geht es im Leben darum, klar zu denken und klar zu urteilen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.  Aber ab und zu den Blick nach oben, in den Himmel zu erheben, das kann – und das gerade auch in schwierigen Zeiten - eine Unterbrechung unseres alltäglichen Gedankenflusses sein, eine kurze Meditation: eine Einladung, einzutreten in den Raum der Absichtslosigkeit und des Nichtbewertens. So gesehen ist eine gelegentliche Wetterbetrachtung auch ein kleiner Beitrag für mehr Frieden in sich selbst und in der Welt.

 „Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“ (Ps 36,6)

 

Sie möchten dem Autor eine Rückmeldung geben?
Schreiben Sie eine Email:

Pastoralreferent
Georg Gebhard (kathol.)