Foto: privat (B.Schröder)

Gäste auf Zeit
von Beate Schröder

In der Klinik gehe ich auf Menschen zu, die ich nicht kenne. Ich weiß nichts über ihre Herkunft, ihre Geschichte, ihre Familie und ihre augenblickliche Lebenssituation. Ich weiß auch nichts über ihren Glauben. Ich stelle mich vor als Klinikseelsorgerin und Pfarrerin. Ich komme mit ihnen ins Gespräch. Manchmal frage ich sie nach einer Weile, ob sie etwas mit dem Glauben anfangen können oder ob ihnen das eher fremd ist. Neulich antwortete mir eine Patientin: »Ja, ich glaube schon an irgendetwas, aber mit der Kirche kann ich nichts anfangen.« Am Ende unseres Gesprächs fragte ich sie, ob sie möchte, dass ich ihr einen Psalm vorlese. Sie nickte. Ich betete mit ihr den Psalm 31.

Letzte Woche war der Theologe und Pädagoge Fulberth Steffensky in Tübingen zu Gast. Er ermutigte uns Christen, freundliche Gastgeber zu sein. Als Christen haben wir eine Heimat im Glauben: in unseren Ritualen, Traditionen und in den biblischen Geschichten und Gebeten. In dieser Heimat dürfen wir Gäste willkommen heißen, die   -  aus was für Gründen auch immer   -   ihre Heimat verloren oder nie eine solche Heimat besessen haben.

Als Klinikseelsorgerin möchte ich eine solche Gastgeberin sein. Ich möchte der Patientin anbieten, einen Moment in meiner Heimat zu verweilen und sich in ihrer Geborgenheit auszuruhen. Am Lebensende ist die Sehnsucht nach einer solchen Heimat besonders groß.

Und dann lasse ich die Patientin weiterziehen. Denn zu einer freundlichen Gastgeberin gehört auch, dass sie ihren Gast wieder gehen lässt. Gast ist man nur auf Zeit. Und sie kann zu jeder Zeit wiederkommen...

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Pfarrerin
Beate Schröder (evang.)